Der erfahrbare Atem
Der Beginn der Atemarbeit liegt in der bewussten Wahrnehmung der Atembewegung. Zu empfinden wieviel unwillkürliche Bewegung unablässig in mir ist, ändert den Blick. Während ich erfahre, dass Dehnungen, Berührungen oder auch nur Sammlung in eine Stelle meines Körpers, z.B. der Schulter, den Atem locken, werde ich zugleich empfindsamer für meinen Leib und damit für mich. Den Körper in seiner Lebendigkeit zu erfahren macht ihn begreifbar. Ich erlebe meinen Rumpf als Ganzes, Arme und Beine schließen sich an, der Kopf ist getragen. Die Empfindung ständig angeschwungen zu sein, macht neugierig.
Im Atem sind Körper, Seele und Geist, Innenwelt und Außenwelt miteinander verbunden. Durchlässigkeit und Sammlungsfähigkeit wachsen ebenso wie die Achtsamkeit im Umgang mit mir und anderen. Es stellt sich die Frage nach der Qualität des Atems. Was bedeutet mir der Einatem, was der Ausatem, was die Atemruhe? Wo zwinge ich dem Atem meinen Willen auf, wo lasse ich ihn zu? Wie ist es, wenn ich wage, Widerstand aufzugeben? Und immer wieder ergibt sich Ilse Middendorfs Frage: "Kann ich den Atem kommen lassen? Kann ich ihn gehen lassen? Kann ich warten, bis er von alleine wiederkommt?"
Und dann die Momente, wo er wirklich von alleine kommt!
Es ist ganz allein Sache der/des einzelnen, welche Frage im Mittelpunkt steht. Was kommt ist wesentlich. Dazu gehört ebenso der Versuch, die Gelenkigkeit zu erhalten, wie die Durchblutung zu fördern, länger reden zu können, innere Ruhe zu finden, seine Kraft zu entdecken, sich der eigenen Persönlichkeit anzunähern und vieles mehr.
Welche Tür sich für mich in der Atemarbeit öffnet, ist eine ganz individuelle Angelegenheit.
Die Leichtigkeit, die entsteht, wenn äußere Bewegung und Atembewegung im Einklang miteinander sind, ist nur ein Teil dieses Reichtums anderer Art. Der Atem ist ein Spiegel dafür, was ich empfinde, zugleich ein Spiegel für das, was ist, und er öffnet die Fenster zu dem, was möglich ist.
Was es nicht gibt, ist Stagnation, vielleicht ein Verweilen oder gar ein Zurückweichen aber keine Starre. Meine Sammlung kann immer wieder hingehen zum Weitwerden im Einatem, Zurückschwingen der Körperwände im Ausatem und dem Warten auf den neuen Einatem.
Und ich kann entstehen lassen, was in diesem Augenblick entsteht. Der Leib verliert die gemachten Erfahrungen nicht. Sie stehen mehr und mehr auch im Alltag zur Verfügung.